o1.11.14 // 14:1o Uhr

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Der vierte Monat ist angebrochen, meine erste Reise schon wieder eine Woche her und die letzte Überreste davon noch nicht verschwunden. Merke: Lago Titicaca hat böse Sonne. Böse Sonne macht Lippen putt. Lippen möchten auch Sonnenschutz.

So gut wie meine Lernfortschritte im Bezug auf die UV-Strahlung auf knapp 4000m sind auch Brandons Fortschritte in meinem Unterricht. Inzwischen hat es beinahe Routine, dass wir uns morgens in unser kleines Klassenzimmer einsperren und uns mithilfe von Holz-Großbuchstaben und auf Pappkarton geschriebenen Kleinbuchstaben, sowie vielen Schreibübungen das ABC aneignen. In der Mathematik hat er inzwischen verstanden, dass sich "größer als" und "kleiner als" nicht auf die Zentimeterhöhe der geschriebenen Zahl bezieht und mit dem Multiplizieren begonnen.

Einzig am Donnerstag nach der Pause hatte er eine einstündige Trotzphase, die mich ans Ende meines Wissens gebracht hat. Ohne einen für mich ersichtlichen Grund hat er sich unter den Tisch verzogen und geschmollt. Ich versuchte es abwechselnd mit Belohnung in Aussicht stellen, vorheriges Verhalten loben, dieses ankreiden, schimpfen, ignorieren, gut zureden, über den Rücken streichen und nach seinen Problemen fragen und dann nochmal alles von vorn - nichts half. Immerhin hat er später selbst festgestellt, dass er nicht gut gearbeitet hat und am nächsten Tag hat es wieder super geklappt (ich habe ein Sterne-Belohnungssystem eingeführt), obwohl der Rest der Schüler keine Schule hatte und lärmend über den Hof gestürmt ist.

 

Nachdem ich am Dienstag ja um sieben Uhr morgens völlig fertig von der Reise nach Hause kam (selbst die Bauarbeiter vor unserer Haustür haben ihre Pfiffe plötzlich eingestellt, als ich näher kam...), schlief ich bis Mittags, duschte, frühstückte und schrieb meinen Reisebericht. Abends war natürlich Tanzen angesagt und danach trafen wir uns an der Plaza, um Max' Geburtstag zu feiern. Wir gingen ins Mento, wo wir irgendwann von einem plötzlich auftauchenden und sich überschwänglich über die Anwesenheit von Landesgenossen freuenden Deutschen belagert wurden, der fürchterlich genervt hat, aber zugleich auch ziemlich amüsant war.

Den Mittwochnachmittag habe ich mit Steven auf der Feria verbracht, wo ich mir eine neue Sporthose und er sich vier Paar Schuhe gekauft hat. Abends war ich wie immer beim Tanzen und habe danach mal endlich wieder mehr als knapp fünf Stunden geschlafen.

Nachdem ich am Donnerstag den Nachmittag einfach mal fast gar nichts gemacht habe bis zum Tanzen, war ich am Freitag einkaufen (inzwischen esse ich ja immer vor dem Tanzen zu Abend und bin daher allein für diese Mahlzeit zuständig) und bin anschließend ins AFS-Büro gefahren, um meine Reisen zu bezahlen. Dort habe ich mich auch mit Eva getroffen und wir sind noch zur Vaca Fria gegangen, um einen Frappuchino zu trinken und zu ratschen. Nachdem ich kurz zuhause vorbei gefahren bin, war ich tanzen und habe ich danach an der Plaza getroffen - eigentlich mit Max, Zoe und einigen ihrer Freunde, doch außer Max ist erstmal niemand aufgetaucht. Also waren wir allein was trinken bis sie eine gute Stunde später voll verkleidet doch noch gekommen sind. Es war aber ein Fehler, dass wir mit ihnen in den Club gegangen sind, da der vollkommen überfüllt und viel zu heiß war. Wir haben uns also wieder abgeseilt und sind zurück in den Irish Pub gegangen.

 

Nachdem ich bis um elf Uhr geschlafen habe (unterbrochen vom Baustellenlärm vor meinem Fenster), konnte ich gemütlich frühstücken und ging dann zur Bank, um Geld für meine Identitätskarte zu überweisen, die wir uns noch ausstellen lassen müssen - der hoffentlich letzte Schritt, der was mit unserem Visum zu tun hat. Dann hat mir Estela einen Rucksack vorbeigebracht, den sie mir für die Reise an den Salar de Uyuni leiht (der ist größer als meiner), es gab Mittagessen und die Pläne, die ich für heute noch habe, lauten: eventuell in die Tanzschule, um mit den anderen die Choreo nochmal durchzugehen, später Spanischkurs, dann eine Tanzshow angucken und schließlich auf die Halloweenparty in Stevens WG gehen, wo auch Anita und Indira hinkommen wollten. Bin gespannt, wie es wirklich kommt, da die Pläne sich immer auflösen, wenn ich sie hier reinschreibe.

 

 

o4.11.14 // 22:47 Uhr

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Verblüffend, aber wahr: Der Samstagabend lief wie geplant. Nach einer entspannten Spanischstunde fuhren Chrissie, Floor und ich mit dem Micro zu der Tanzveranstaltung, aßen vorher noch schnell Pollo und guckten uns dann die Show an. Die war teilweise phantastisch, teilweise gut und teilweise waren die Tänzerinnen auch eher ungeübt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Der gute Teil überwog aber, unter Anderem wegen des Auftritts unseres Profes mit seiner Crew - hammer :)

Danach fuhr ich mit dem Micro weiter zu Stevens WG, wo die Halloweenparty schon voll im Gange war. Anfangs saßen wir nur herum, doch bald begann ich Gespräche mit den etwa 30 Bolivianern, Deutschen, Österreichern, Holländern, Schweizern und Co. und traf sogar ein paar wieder, die ich über Zoe schon kennen gelernt hatte. Zwischendurch tanzten wir sogar Salsa und Bachata im Wohnzimmer.

Nachdem ich mich auf dem Heimweg mit dem Taxifahrer angefreundet habe (seiner Ansicht nach. Er hat mich zugelabert. Soll mir recht sein, solange ich dann weniger zahlen muss.), durfte ich mich noch ein bisschen über die Baustelle aufregen, die doch ernsthaft in der Nacht auf Sonntag bis vier Uhr arbeiten...

 

Als ich brav um acht Uhr aufstehen wollte, da wir ja auf die Quinta fahren wollten, sah ich: Es schifft draußen. Per Whatsapp habe ich mit meiner Mutter ausgemacht, dass wir lieber morgen fahren und den Vormittag gechillt im Bett verbracht - lesen, Serien gucken, Spanisch lernen, Lieder und Kabarettprogramme herunterladen, Gebärdensprachalphabeth auffrischen und pennen. Mittags waren wir im allwöchentlichen Steakhouse essen (mjamm, Salat) und danach setzte ich bis abends mein Programm vom Vormittag fort. Um sechs Uhr traf ich mich dann mit Zoe und Max auf der Plaza, um zum Friedhof zu gehen. Da Dia de los Muertos war, war dort in etwa so viel los wie aufm Oktoberfest und es herrschte beinahe so ausgelassene Stimmung. Die Friedhöfe hier bestehen aus aneinandergereihten Mausoleen, wo jeder Tote meist nur ein kleines Fenster hat, das die Verwandten dekorieren können - bevorzugt mit bunt blinkenden Plastikengeln oder -blumen. Vor diesem ästhetischen Werk sitzt dann die ganze Familie mit Klappstühlen und ratscht, gern auch den ganzen Tag. Ein Erlebnis war es, doch begraben werden würde ich hier nicht wollen.

 

Am Montagmorgen hingen zwar Wolken am Himmel, doch meine Familie stand pünktlich mit einstündiger Verspätung auf. Da Max mitkam, war es ein klitzekleines bisschen eng zu viert auf der Rückbank, besonders auf den Sandstraßen, die so holpern, dass man mit dem Kopf gegen die Decke stößt. Das war es aber wert, denn das Schwimmen, Billard spielen, gemeinsame Grillen und Monika Grubers Kabarettprogramm anhören hat alles wett gemacht. Entspannung pur. Auch wenn eine der Hängematten wohl nicht für zwei Leute ausgelegt war. Ups.
Nachdem Max und ich noch ein bisschen in meinem Zimmer herumgegammelt sind und Musik gehört haben, ist er irgendwann heimgefahren und ich bin nach dem Duschen totmüde ins Bett gefallen.

 

Denn ich musste ja um sechs Uhr wieder aufstehen, Dienstag, Arbeitstag, Projekttag. Und strömender Regen. Schon auf dem Weg zum Micro war ich klatschnass, trotz Regenjacke. Im Büro angekommen warteten Steven und ich dann etwa anderthalb Stunden darauf, dass Zenon seine Telefonate beendet, in denen er diskutiert, ob die Wege zu überschwemmt sind, um mit dem Micro zu fahren. Letztendlich sind wir mit der Camionetta (Pickup mit Ladefläche) bis zur nächsten Kreuzung gefahren, wo mir dann gesagt wurde, ich kann leider nicht mitfahren, weil auf dem Heimweg sonst ein Platz im Auto zu wenig sein würde. Also bin ich ausgestiegen, habe auf mein Micro gewartet und bin nach Hause gefahren, wo ich mich erstmal ganzkörper-ausgewrungen habe. Bis Mittags war ich faul, dann bin ich mit ins Confetti gefahren, wo ich Cinnamon Rolls gebacken habe - die sogar echt gut geworden sind. Denn nach Hause durfte ich nicht, da waren die Giftspritzer/Kammerjäger da - als ich heimkam war die ganze Küche voller toter Kakerlaken... da bin ich lieber schnell zum Tanzen geflüchtet.

 

 

o7.11.14 // 14:4o Uhr

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Dafür konnte ich am Mittwoch endlich wieder wie gewohnt ins Projekt fahren und nach meinem kurzen Frühstück mit Brandon in unser Klassenzimmer gehen. Leider musste ich feststellen: In den vier schulfreien Tagen hat er den Großteil wieder vergessen und erinnert sich jetzt nicht mehr an die Existenz des D's im Alphabeth. Ein Schritt vor, drei zurück.
Also habe ich alles aufgefrischt, die einfachste Multiplikation wiederholt, das Alphabeth bis zum Buchstaben i in groß und klein und so weiter. Am Nachmittag habe ich versprochen, im Confetti zu helfen... knapp 300 Pralinen in Goldpapier wickeln und Schachteln dazu basteln - zu meinem Glück konnte ich nebenher das Bayernspiel gegen Rom angucken. Abends hatte ich eigentlich vor, mich nach dem Tanzen noch mit meinen bolivianischen Freundinnen zu treffen (um diese "Freundschaft" vielleicht überhaupt erstmal aufzubauen, da ich alle bis auf eine erst einmal gesehen habe), doch das ging schief, weil mein Handy sich derzeit weigert, zu telefonieren und ich die Bar nicht gefunden habe - trotz Nachfragen.

 

Am Donnerstag waren wir mal - ausnahmsweise - wieder in Sachen Visum und Co unterwegs. Schon um sieben Uhr morgens mussten wir an den vierten Ring rausfahren zu Segip. Da wir eine Stunde warten mussten, gingen wir zum Hipermaxi und kauften Saft und Kuchen für einen kleinen Brunch auf dem Boden des Segip-Büros. Dann, knapp drei Stunden später waren unsere Carnet d'Identidad endlich in Arbeit. Nächsten Donnerstag können wir sie abholen. Mit Kathrin bin ich noch an die Plaza gefahren, wo wir in verschiedenen Buchläden waren und geratscht haben. Zuhause habe ich vor dem Mittagessen schnell meinen Rucksack für die Reise nach Trinidad gepackt, denn danach bin ich mit ins Confetti gefahren, allerdings nur bis halb vier. Danach traf ich mich nämlich mit Max an der Plaza zum Eisessen, wo wir bis zum Abend gequatscht und philosophiert haben. Direkt von dort aus ging es weiter zum Tanzen. Unsere inzwischen fast schon eingeschworene Partnertanzgruppe ist nämlich gemeinsam zu einer anderen Tanzschule gegangen, um mal was neues zu probieren. War aber ein Reinfall, schlechter Lehrer, wenig anspruchsvoll. Mit leichter Verspätung hetzten wir nach einer Stunde zurück zu unserer eigenen Tanzschule, wo Steven, unser Trainer, schon wartete.

Am Abend nach dem Duschen wartete noch eine Überraschung auf mich: plötzlich rumpelt es unten im Haus und etwas bewegt sich langsam die Treppe hinauf: Mein Bücherregal! Obwohl ich es nur ein einziges Mal erwähnt habe, dass ich gerne eins hätte und ob noch irgendwo ein freies Regalchen herumsteht, haben meine Eltern dran gedacht und mir aus dem Confettisitz in der Calle Libertad ein ziemlich hübsches, etwa anderthalb Meter breites Glas-Holz-Regal gebracht, das ich jetzt mit Büchern und Souvenirs füllen kann. Ich hab mich riesig gefreut und gleich mal die Chance genutzt, Mama zu knuddeln. Sie hat's mir mit einem Bussi auf die Wange gedankt :-)

 

Der Freitag ging bisher positiv weiter: Der Unterricht mit Brandon verlief (trotz ein paar Frustrationsmomenten) recht gut und gaanz langsam beginnen die Buchstaben zu sitzen und er erkennt sie wieder, wenn er sie sieht. Die letzte Stunde haben wir mit Geografie-Unterricht zugebracht, nachdem ich ihm von meiner Reise nach Beni erzählt hatte und er nichtmal das kannte - und das liegt in seinem Land! Auch Brazil war ein Fremdwort, ebenso der Äquator und so weiter. Also habe ich den Globus zur Hand genommen und Grundlagen geklärt. Sicherlich nicht zum letzten Mal.

 

Da unser Bus ja um neun Uhr abends abfährt, gehe ich heute mal von vier bis sechs Uhr tanzen. Na, und auch deswegen, weil ich eine Tanzgruppe für Moderndance suche. Dann duschen, Zeug schnappen und ab geht's nach Trinidad.